IKONEN DER NATUR -
zur Malerei von Dietmar H.D.T. Jäkel 1989 - 1999

Zwischen linearer Geschlossenheit und formaler Offenheit, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Monochromie und Strahlkraft zahlreicher Farbnuancen - so lassen sich die Eindrücke der Malerei Dietmar H.D.T. Jäkels auf den ersten Blick beschreiben. Sie mögen durchaus widersprüchlich sein, damit weisen sie auf die unterschiedlichen Bildlösungen in der intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema hin.

Innerhalb seiner Arbeit beschäftigt sich Jäkel seit mehreren Jahren kontinuierlich mit zwei Werkgruppen: zum einen mit Steinen, zum zweiten mit Blättern und Blüten. Dabei interessiert weniger die genaue Wiedergabe der natürlichen Formen, sondern der Blick auf diese Motive und ihre malerische Übersetzung in Farbe und Form, meist mit einem exakt gewählten Ausschnitt. Aus dieser malerischen Behandlung entsteht eine völlig eigenständige, bildimmanente Struktur innerhalb der Darstellungen, die im Verlauf der neunziger Jahre eine immer wichtigere Bedeutung einnehmen wird.

Steine

Die frühen Bilder aus dem Jahr 1989 zeigen unterschiedliche Formcharaktere von Steinen: abgerundete Steinschichten lassen den Stein weich und formbar erscheinen und suggerieren, nicht zuletzt durch die blaue Farbwahl, eine Nähe zum Element des Wassers. In anderen Bildern entstehen phantastische Figuren wie El mago (Der Magier), 1989, der sich nahezu mystisch aus den Gesteinselementen herausbildet. Weitere Bilder zeigen kantige kristalline Strukturen, die mit hellen und dunklen Flächen und verwandten Farben in unterschiedlichen Helligkeitsgraden die gesamte Bildfläche gliedern. Es entstehen abstrakte Bildstrukturen, die wie Ausschnitte aus einem großen Gesamtgewebe wirken und an Blicke durch ein Mikroskop erinnern (Immer neue Überraschungen, 1989). Die über den Bildrand weiter fortsetzbare Bildstruktur läßt sich in Anlehnung an die Malerei des action paiting des Amerikaners Jackson Pollock als all over-Struktur bezeichnen. Formverzweigungen und Linienverläufe lassen Gesichter oder Labyrinthe entdecken.
In den Arbeiten, die während der neunziger Jahre entstehen, wird die Farbigkeit heller und leuchtender, die Strukturen bewegen sich weiterhin zwischen reiner Abstraktion und phantastischer Figuration. Das Motiv des Steines bezieht sich auf verschiedene Deutungsebenen: der Stein als magisches Objekt mit Heilwirkung und der Stein als Träger von Energie. Der Stein verkörpert eine Jahrtausende umfassende Menschheitsgeschichte und ist einer der ältestes Träger von Spuren menschlicher Geschichte und geologischer Entwicklung überhaupt. Der Stein ist ein Kunstwerk der Natur, individuell geformt, mit dem Status des Ewigen und Unzerstörbaren. So bildet der Stein das Material für Architekturen, die heute Baudenkmäler darstellen. Oder man schlägt Grabtafeln in Stein, die an ein Gedenken erinnern und es überdauern.

Jäkel war hinsichtlich dieses Themas seit seiner ersten Expedition 1987 vor allem von dem Tafelberg Roraima südlich des Rio Orinoco-Gebietes in Venezuela an der Grenze zu Brasilien mit seiner Weitläufigkeit, Mächtigkeit und Sprödigkeit fasziniert. Die bizarren Sandsteinformationen, von den Indianern als „versteinerte Götter" geachtet und verehrt, inspirierten Jäkel zur Thematisierung des Urgesteins. Dabei ist dieses Material mit seiner eigentümlichen Vegetation Ausgangsbasis zur Entwicklung zahlreicher Variationen eigener Strukturen.

Blüten und Blätter

Parallel zu den Steinbildern entstehen seit Ende der achtziger Jahre Pflanzenbilder, die Blüten und Blattformen zeigen. Jede Geburt der Blüte, 1998, die Jäkel darstellt, beinhaltet mit dem Schlüpfen und der Entfaltung der Blütenpracht die Schönheit der Natur, aber auch deren Vergänglichkeit.
Diese ambivalenten Deutungsebenen besitzen Blumenbilder seit ihrer Entstehung als eigenständiges Genre der Stillebenmalerei in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Blüten als Elemente prächtiger Arrangements symbolisieren stellvertretend den Verlauf der verschiedenen Jahreszeiten. Werden, Wachsen und Vergehen - dieses Urgesetz allen Lebens wird in dem Abbild der Blüte ein Konzentrat dieses unaufhaltsamen und sich stetig wiederholenden Kreislaufes. Die Blüten erscheinen immer isoliert, meistens ein Blütenkopf vor einem monochromen Hintergrund. Mit der Farbintensität und den Beleuchtungsverhältnissen erscheint die Blume, hier in erster Linie die Amaryllis, dennoch auch als etwas Dauerhaftes: der Stolz und die Würde der Natur finden in diesen Bildern ihren Ausdruck. Gleichzeitig bleibt in den Bildern die Evolution als Thema immer präsent. Oder das Bild zeigt einen stark fokussierten Blick, wo ein Ausschnitt einer Blüte sichtbar wird und die Struktur der Blütenblätter sichtbar wird. Die kräftigen leuchtenden Farben dieser Bilder erscheinen wie abstrakte Farbflächen - nicht selten suggerieren sie erotische Momente. Parallel zu den Blüten beschäftigt sich der Maler seit mehreren Jahren intensiv mit Blattformen. Tauchen mehrere Blätter zunächst in Gruppen fächerförmig auf, so entstehen ab 1992/93 Zweier- und Dreiergruppen von Blättern, die das gesamte Bildformat einnehmen. Die Positionierung der Blattmotive knüpft in dem Bild Drei Blätter, 1999 an die Tradition des Triptychons, des dreiteiligen Altarbildes, an. Doch der Maler konzentriert sich mehr und mehr auf Einzelformen: das gesamte Bildformat einnehmende Blattformen, die der Maler ursprünglich an übermannshohen Büschen in Venezuela fand, werden Ende der neunziger Jahre alleiniges Bildthema. Jäkel schafft zwei Urtypen von Blattformen, die stellvertretend auch als oder zu verstehen sind. Mit der vollständigen Isolation des Blattes als Einzelform kommt der Darstellung fast eine Mandelafunktion zu. Mittels der strikten Reduktion gewinnt die Blattform einen Zeichencharakter, wie dies beispielsweise von Fahnen bekannt ist. Gleichzeitig ist die helle strahlende Farbigkeit von Gelb-, Orange - und Rottönen ein Zeichen der Lebenskraft und Sinnlichkeit. Die zahlreichen Gelbtöne erinnern an den Goldton mittelalterlicher Tafelbilder oder Ikonen, die eine religiöse Bilddarstellungen überhöhen. Jäkel benutzt tatsächlich den Goldton bei Goauche-Arbeiten aus dem Jahr 1999. Mit der starken Leuchtkraft der Bilder sind diese Arbeiten vor allem intensive Sehstücke, die mit ihrer formalen Reduktion das Narrative eliminieren: „Erst den Nerv treffen, dann den Kopf" lautet auch das Motto des Malers. Die zunehmend intensivere Farbwahl verändert das Verhältnis von Blattform als Bildfigur und Grund: die früheren, 1998 und überwiegend 1999 entstandenen Bilder, besitzen durch eine deutliche Kante des Blattes und einen starken Helldunkel-Kontrast in der Farbwahl eine klare Trennung zwischen Blattform und Grund Das große Blatt II, 1999. In den jüngsten Arbeiten, genauer seit Ende des Jahres 1999, löst sich die Trennung zwischen der Bildform des Blattes und dem Grund zunehmend auf: Jäkel verwendet strahlende, miteinander verwandte Farben, die durch ihre Modulation ein Farbkontinuum bilden.

In den letzten Bildern wird die Tendenz zur Monochromie unübersehbar Das Blatt - Herbst II, 1999 und Zwei Blätter - Das Kreuz, 1999. Die Oberflächenbehandlung der Bilder tragen zur Annäherung von Blattform und Grund ebenfalls bei, indem nicht allein Pinselspuren sichtbar sind, sondern die Bearbeitungsprozesse des Bildes mit Kamm und Spachtel und anderen Werkzeugen ihre Spuren hinterlassen. Damit gelingt Jäkel die Verbindung von Form und Raum und letztlich der Wandel der Farbfläche zum Farbraum. Durch die Beimischung von Sand zur Grundierung des Bildes wird eine eigene Räumlichkeit entwickelt, das Bild erhält mittels seiner erkennbaren und hervorgehobenen Materialität eine eigene ästhetische Qualität. Damit gewinnt das Blattbild den Status eines immanten Zeichens zur Visualisierung der Naturgesetze des Lebens, denen der Mensch bei aller technischen Errungenschaften immer noch unterliegt - Naturgesetze und -gewalten weisen den modernen technischen Menschen immer wieder in seine Schranken. Die Wirkung von Urgesetzen findet mit der reduzierten und konzentrierten Urform in der Malerei Jäkels ihren Ausdruck - sie sind Ikonen der Natur.

Hella Nocke-Schrepper